Habermas

Habermas
Habermas,
 
Jürgen, Philosoph und Soziologe, * Düsseldorf 18. 6. 1929. Nach dem Studium der Philosophie, Geschichte, Psychologie, deutschen Literatur und Ökonomie war Habermas 1955-59 Assistent an dem von M. Horkheimer und T. Adorno geleiteten »Institut für Sozialforschung« in Frankfurt am Main. 1961 wurde er Professor für Philosophie in Heidelberg, 1964 für Philosophie und Soziologie in Frankfurt am Main. 1971-81 war Habermas Direktor am Max-Planck-Institut zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt in Starnberg. Von 1983 bis 1994 lehrte Habermas mit den Schwerpunkten Sozial- und Geschichtsphilosophie wieder in Frankfurt am Main. 2001 erhielt er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.
 
Habermas ist aus der von Horkheimer und Adorno begründeten Frankfurter Schule hervorgegangen, die er im Sinne einer kritischen Theorie der Gesellschaft fortgeführt hat. Dem marxistischen Grundanliegen einer fortschreitenden Emanzipation des Menschen aus den Zwängen von Natur und Gesellschaft verpflichtet, geht es Habermas, auf der Basis der analytischen Sozialwissenschaften, darum, die bisher ungeklärten normativen Grundlagen gesellschaftlicher Prozesse herauszuarbeiten. Mit seiner Habilitationsschrift »Strukturwandel der Öffentlichkeit« (1962) setzte er einen Markstein seines gesellschaftskritischen, zugleich aufklärerischer und demokratischer Tradition verbundenen Denkens. Bereits in den 50er-Jahren trat Habermas für demokratische Reformen des Bildungswesens und der Hochschulen ein und wurde so - als Vertreter der »Linken« - zu einem geistigen Anreger der Studentenbewegung 1967/68; es kam aber schon bald zu Konfrontationen zwischen Habermas und radikalen Studenten. - In seinem Werk »Erkenntnis und Interesse« (1968) stellt Habermas heraus, dass es keine »objektive« Erkenntnis gibt. Vielmehr bestimmt das jeweilige theoretische oder praktische Erkenntnisinteresse den Aspekt, unter dem die Wirklichkeit objektiviert, das heißt wissenschaftlicher Forschung und Organisation zugänglich gemacht wird. Sein monumentales Werk »Theorie des kommunikativen Handelns« (1981, 2 Bände) sowie frühere, vorbereitende Werke (u. a. »Was heißt Universalpragmatik?«, 1976) dienen dem Aufweis, dass die normativen Grundlagen gesellschaftlicher Prozesse in der Sprache liegen. In die Sprache fließen die Geltungsansprüche der Wahrheit, Verständlichkeit, Richtigkeit und Wahrhaftigkeit - das heißt der Vernünftigkeit - ein, die jeglicher Verständigung und damit menschlichem Handeln, das sich in sozialen Interaktionen realisiere, als moralische Normen zugrunde liegen. Andererseits fließen in den Verständigungsprozess nicht hinterfragte Kenntnisse und Hintergrundüberzeugungen, das heißt die Lebenswelt des Individuums, ein. Diese kann sprachlich artikuliert und zur Diskussion gestellt werden im Hinblick auf gemeinsame, definierte Handlungsziele. Habermas ist neben K.-O. Apel der wichtigste Vertreter einer transzendental-pragmatischen Begründung der Ethik. Die von Habermas 1973 formulierte »Konsenstheorie der Wahrheit«, die Wahrheit als Übereinstimmung in einer idealen Kommunikationsgemeinschaft auffasst, fand vielseitige Beachtung. Während die Rationalitätskritik Adornos in der Technisierung und Bürokratisierung fortschreitende Herrschaftszwänge eines ursprünglich aufklärerischen Vernunftmoments sah, geht Habermas von den Entwicklungsmöglichkeiten der Vernunft aus, in Form der sich in menschlichen Verständigungsprozessen artikulierenden Dialektik von System und Lebenswelt. In »Faktizität und Geltung« (1992) lässt er der Gesellschaftstheorie und der Diskursethik in seiner Theorie der Moderne die Rechts- und Staatstheorie folgen. - Habermas war an allen großen theoretischen Debatten wie dem Positivismusstreit beteiligt, nimmt aber auch zu gesellschaftspolitischen und historischen Ereignissen Stellung. Seine heftige Kritik 1986 an neokonservativen, die Verbrechen der NS-Herrschaft nivellierenden Tendenzen lösten den Historikerstreit aus.
 
Weitere Werke: Student und Politik (1961; mit L. von Friedeburg u. a.); Theorie und Praxis (1963; erweitert 1971); Zur Logik der Sozialwissenschaften (1967); Technik und Wissenschaft als Ideologie (1968); Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie (1969; mit T. W. Adorno u. a.); Philosophisch-politische Profile (1971; erweitert 1984); Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie. Was leistet die Systemforschung? (1971; mit N. Luhmann); Kultur und Kritik (1973; Aufsätze); Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus (1973); Zur Rekonstruktion des Historischen Materialismus (1976); Kleine politische Schriften (1981); Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln (1983); Vorstudien und Ergänzungen zur Theorie des kommunikativen Handelns (1984); Die neue Unübersichtlichkeit (1985); Der philosophische Diskurs der Moderne (1985); Nachmetaphysisches Denken. Philosophische Aufsätze (1988); Die nachholende Revolution (1990); Vergangenheit als Zukunft (1990); Die Normalität einer Berliner Republik (1995); Die Einbeziehung des Anderen. Studien zur politischen Theorie (1996); Die postnationale Konstellation. Politische Essays (1998); Wahrheit und Rechtfertigung. Philosophische Aufsätze (1999); Die Zukunft der menschlichen Natur. Auf dem Wege zur liberalen Eugenik? (2001).
 
 
Materialien zu H.' »Erkenntnis u. Interesse«, hg. v. W. Dallmayr (1974);
 T. McCarthy: Kritik der Verständigungsverhältnisse. Zur Theorie von J. H. (a. d. Engl., 1980);
 H. Gripp: J. H. (1984);
 D. Horster: J. H. (1991);
 D. Horster: J. H. zur Einf. (Neuausg. 22001);
 H. Dubiel: Krit. Theorie der Gesellschaft. Eine einführende Rekonstruktion von den Anfängen im Horkheimer-Kreis bis H. (21992);
 
Das Interesse der Vernunft. Rückblicke auf das Werk von J. H. seit »Erkenntnis u. Interesse«, hg. v. S. Müller-Doohm (2000);
 
Die Öffentlichkeit der Vernunft u. die Vernunft der Öffentlichkeit. Eine Festschrift für J. H., hg. v. L. Wingert u. K. Günther (2001).

Universal-Lexikon. 2012.

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